Trifft einen betrunkenen Verletzten ein Mitverschulden?

Was war passiert?

Ein Mann war zu Gast in einem Lokal und trank offensichtlich das ein oder andere alkoholische Getränk. Als er das Lokal verlassen wollte, kam er beim Hinabsteigen einer Treppe zu Sturz. Die Treppe war am oberen Ende erkennbar mit einem Gitter abgesperrt und aus mehreren Gründen nicht verkehrssicher. Der Kläger dachte, über diese Treppe könne er das Lokal verlassen, was jedoch nicht der Fall war, weshalb er umdrehen musste. Dabei kam er zu Sturz. Es wurde im Zuge des Verfahrens festgestellt, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Vorfalles eine Alkoholisierung vom zumindest 1,2 Promille aufwies.

Wie entschieden die Gerichte?

Die Sache ging durch die Instanzen und landete beim Obersten Gerichtshof (OGH). Das zweitinstanzliche Berufungsgericht war der Ansicht, der Kläger habe sich „sorglos der infolge seiner Alkoholisierung absehbaren Gefahr eines Sturzes auf der Treppe aus[gesetzt]“, weshalb ihn ein Mitverschulden treffe. Der OGH hatte an dieser Rechtsansicht nichts auszusetzen. Bei einer Alkoholisierung handelt es sich um ein erkennbares Gefahrenmoment, so der OGH. Dadurch kann bereits das Betreten einer Treppe eine vermeidbare Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten begründen. Ob der Kläger erkennen konnte (oder alkoholbedingt nicht erkennen konnte), dass die von ihm benutzte Treppe gar nicht zum Ausgang des Lokals führt, ist unerheblich, so der OGH, der sich auf die Bestimmung des § 1307 ABGB stützte.

§ 1307 ABGB besagt, dass, wenn sich jemand aus eigenem Verschulden in den Zustand der „Sinnesverwirrung“ (zB wegen Alkoholisierung) versetzt, ihm der in diesem Zustand verursachte Schaden als Verschulden zuzurechnen ist. Dies muss auch auf den Geschädigten selbst angewendet werden, der in diesem Zustand den ihm zugefügten Schaden mitverursacht hat, so der OGH.

In einer älteren Entscheidung zu dieser Thematik entschied der OGH beispielsweise: „Auch den Geschädigten, der sich vor dem Antritt der Fahrt sinnlos betrunken und damit selbst außerstande gesetzt hat nachzuprüfen, ob er sich dem Fahrer eines Kraftfahrzeuges anvertrauen darf, trifft ein Mitverschulden an dem ihm zugestoßenen Unfall trifft, der durch Trunkenheit des Fahrers herbeigeführt wurde. Dieses Mitverschulden müßte sich der Geschädigte nur dann nicht anrechnen lassen, wenn ihn an der Herbeiführung seiner Trunkenheit kein Verschulden träfe, was zB der Fall wäre, wenn er die berauschende Eigenschaft des Getränkes nicht gekannt oder es über ärztliche Verschreibung zu sich genommen hätte, oder ihm der Alkohol von anderen eingeflößt worden wäre.“ (RS0026843)

Zurück zur Ausgangsentscheidung. Der OGH hatte an der von der Vorinstanz vorgenommenen Schuldensteilung 2:1 zu Lasten des Beklagten nichts auszusetzen. Im Ergebnis hatte daher der Kläger eine Mitschuld von einem Drittel zu tragen und erhielt daher einen um diese Quote reduzierten Schadenersatz.

(Entscheidung OGH 8 Ob 22/21z vom 30.04.2021)

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